Die Anwendung des Lead User-Ansatzes in der Innovationspraxis – Eine Studie der TUHH
November 16, 2015 3:17 pm |
von Jens Lehnen
Die Integration von Kunden in den Innovationsprozess im Sinne der Open Innovation ist längst zu einem elementaren Bestandteil bei der Neuproduktentwicklung geworden. Nur wenn Innovationen die Bedürfnisse der Kunden befriedigen, werden sie am Markt auch anerkannt.
Bedürfniserkennung durch den Lead User-Ansatz
Ideal ist dabei die Integration fortschrittlicher Nutzer, so genannter Lead User. Diese Anwender zeichnen sich dadurch aus, dass sie (1) mit Bedürfnissen konfrontiert sind, die sich erst später am Markt etablieren werden und (2) in der Lage sind, eigene Lösungen zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu entwickeln und dadurch besonders zu profitieren.
Der in den USA entwickelte Lead User-Ansatz besteht seit ca. 30 Jahren, vor etwa 20 Jahren wurde er in Deutschland eingeführt. Zwar sind verschiedene, erfolgreiche Lead User-Projekte in Unternehmen bekannt – so finden sich Beispiele bei Johnson & Johnson, 3M oder Hilti. Eine detaillierte Studie über den Einsatz dieses Ansatzes in der Praxis sowie eine ausführliche Analyse der Erfahrungen mit Lead User-Projekten existierte jedoch nicht.
In einer umfangreichen Online-Befragung analysierten daher Jens Lehnen und Prof. Cornelius Herstatt vom Institut für Technologie- und Innovationsmanagement der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) die Anwendung des Lead User-Ansatzes in der Praxis. An der Umfrage nahmen 249 insbesondere mittelständische Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum teil.
„79 % der Unternehmen, die den Ansatz bisher nicht kannten, können sich eine Durchführung vorstellen“
Verbreitung und Anwendung des Lead User-Ansatzes
Den Lead User-Ansatz kennen 39% der befragten Unternehmen. Daher ist Potenzial für eine weitere Verbreitung (bspw. durch die Lehre) und Anwendung dieses Ansatzes in der Praxis vorhanden – insbesondere vor dem Aspekt, dass sich 79% der Unternehmen, die den Ansatz bisher nicht kannten, eine Durchführung vorstellen können. Die Bewertung des Lead User-Ansatzes zur Entwicklung innovativer Produktkonzepte entspricht dieser Erkenntnis: 63% der Befragten, denen der Ansatz neu ist, bewerten ihn positiv, 36% stehen dieser Methode neutral gegenüber. Nur 3% der Befragten bewerten den Ansatz negativ.
Die Unternehmen, welche bereits Lead User-Projekte durchgeführt haben, bewerten den Ansatz basierend auf ihren praktischen Erfahrungen noch positiver. So wird die Integration von Lead Usern von 90% der Befragten als positiv sowie von 10% als neutral bewertet. Eine negative Evaluation nahm keins der Unternehmen vor. Passend dazu gaben 93% der Befragten an, dass die Ziele des Lead User-Projekts erreicht wurden und eine wiederholte Durchführung eines Lead User-Projekts geplant sei.
Jedes 2. Unternehmen ändert den theoretischen Prozess
Trotz der sehr positiven Bewertung gab knapp die Hälfte der befragten Unternehmen an, den Prozess der Lead User-Projekte im Vergleich zum in der Theorie etablierten, klassischen Prozess der Lead User-Methode zu ändern. Eine Anpassung des Prozesses basierend auf praktischen Erfahrungen und Rahmenbedingungen scheint demnach eine gängige Vorgehensweise in der Praxis.
Die Anpassung variiert dabei – so werden Prozessphasen weggelassen, deren Reihenfolge geändert oder Schritte und notwendige Aspekte hinzugefügt. So ist es bspw. für eins der befragten Unternehmen sinnvoller, Einzelgespräche mit den Lead Usern zu führen statt – wie im theoretischen Prozess definiert – Workshops zu veranstalten.
Zudem ist zu beobachten, dass durch neu entstandene Technologien (Web 2.0 etc.), neuartige und insbesondere internetbasierte Methoden (bspw. Crowdsourcing, Netnography) zur Identifizierung und Integration der Lead User angewandt werden.
Anpassung und Weiterentwicklung des Ansatzes
Vor diesem Hintergrund ist eine Weiterentwicklung und Modernisierung des Ansatzes auf Basis praktischer Erfahrungen sowie eine Anpassung an aktuelle Gegebenheiten gefragt. Dies soll im Rahmen der Dissertation von Herrn Lehnen in Tiefenfallstudien mit Unternehmen durchgeführt werden, für die nach Kooperationen gesucht wird.
Kategorisiert in: Crowdsourced Innovation
Dieser Artikel wurde verfasst von Julia Gackstetter
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